„Krise, welche Krise?“ Hedwig Richters Vortrag zu Demokratiekonflikten

Florian Skelton

Die Demokratie komme aus Krisen nicht heraus – so die gängige Diagnose. Doch warum verstehen wir Demokratie so oft als krisenhaft und prekär? In ihrem Vortrag vom 22.6.23 an der TU Darmstadt diskutierte Prof. Hedwig Richter (Universität der Bundeswehr München) diese konstante „Krisendämmerung“. Vor rund 60 Personen ging sie „Risiko und Resilienz“ in der Demokratiegeschichte nach, um auf einem streitwürdigen Punkt zu enden: Die Klimakrisen verlangen der Demokratie verstärkt nicht-majoritäre Institutionen ab. „„Krise, welche Krise?“ Hedwig Richters Vortrag zu Demokratiekonflikten“ weiterlesen

Der lange Atem populistischer Schmerzensschreie

Florian Skelton

Der Politikwissenschaftler und Machiavelli-Experte John McCormick war in Darmstadt zu Besuch. Bekannt für seinen belebten Vortragsstil, präsentierte McCormick eine ebenso erstaunliche wie eingängige These: Der florentinische Staatssekretär Niccolò Machiavelli sei entgegen seinem Ruf kein moralfreier Machtzyniker, sondern der erste demokratische Theoretiker in der westlichen politischen Ideengeschichte. Und als solcher sei er hochaktuell, um in heutigen Demokratien den Eliten die Stirn zu bieten. „Der lange Atem populistischer Schmerzensschreie“ weiterlesen

Hannah Arendts republikanischer Elitismus

Dirk Jörke

Hannah Arendt ist in. Davon zeugt nicht nur eine große Ausstellung, die ihr 2020 im Deutschen Historischen Museum gewidmet war, sowie die gegenwärtig mit viel Aufwand betriebene Edition ihrer gesammelten Schriften und Notizen, Arendt gehört auch zu jenen wenigen politischen Theoretikern, die in Bundestagsreden zitiert werden, und zwar nach Max Weber, dessen Ausführungen in Politik als Beruf zum Evergreen gehören, am zweithäufigsten. Doch nicht nur das ist bemerkenswert, sondern auch, dass sie parteiübergreifend von der Linkspartei bis zur ehemaligen Kanzlerin Angela Merkel zitiert wird.1 Und ja, wer könnte Sätzen wie „Der Sinn von Politik ist Freiheit“ auch widersprechen? Bezweifelt werden darf allerdings, dass den Politikern, die sich der Autorität Arendts bedienen, bewusst ist, dass sie einer dezidierten Kritikerin der Demokratie, insbesondere eines von Parteien dominierten Parlamentes die Ehre erweisen. „Hannah Arendts republikanischer Elitismus“ weiterlesen

Oliver Eberls „Naturzustand und Barbarei“ ausgezeichnet

Oliver Eberl, Projektleiter im Projekt „Der Blick nach unten“ wurde mit „Naturzustand und Barbarei. Begründung und Kritik staatlicher Ordnung im Zeichen des Kolonialismus“ mit dem Preis „Das politikwissenschaftliche Buch 2022“ ausgezeichnet. Der Preis wird jährlich von der Stiftung Wissenschaft und Demokratie und der Deutschen Gesellschaft für Politikwissenschaft vergeben. Im kürzlich erschienen Interview spricht Oliver Eberl mit der Redaktion von pw-portal.de über sein Buch und wie die dort beschriebenen kolonialen Abwertungstopoi mit dem aktuellen Projekt „Der Blick nach unten“ zusammenhängen.

Demokratiekonflikt und soziale Krisen

David Salomon 

Die moderne Demokratie – dies hat sie mit dem modernen Staat gemein – entstand und entwickelte sich im Horizont von sozialen Konflikten. Demokratisierungsfortschritte vollzogen sich zumeist krisenvermittelt, häufig auch als Schlussfolgerung oder „Lehre“ aus vorausgegangenen Verwerfungen. So lässt sich etwa bezweifeln, dass programmatisch und organisatorisch „geschlossene“ Massenparteien entstanden wären, wenn nicht die Pariser Ereignisse des Juni 1848 und des Mai 1871 gezeigt hätten, wie leicht sich politische Clubs und lose Bewegungen auseinandertreiben und niederschießen lassen.1

„Demokratiekonflikt und soziale Krisen“ weiterlesen

Don’t Look Up – Oder: wie die Wissenschaft an der Massenpsychologie und -demokratie verzweifelt

Filmrezension zu „Don’t Look Up“ (2021), veröffentlicht auf Netflix.

Annika D’Avis

Eindrücklich wie kaum ein anderer Film fasst Don’t Look Up 1 folgende Erzählung zusammen: Trotz umfassender wissenschaftlicher Fakten zerstückelt sich die Gesellschaft in Meinungs-Bubbles und unvereinbare Polarisierungstendenzen. „Don’t Look Up – Oder: wie die Wissenschaft an der Massenpsychologie und -demokratie verzweifelt“ weiterlesen

Rechtspopulismus als Ausdruck einer politisch umkämpften produktionistischen Ethik.

Torben Schwuchow

Nachwahluntersuchungen vergangener Bundes- und Landtagswahlen zeigen immer wieder, dass es ein Alleinstellungsmerkmal der Partei AfD ist, überdurchschnittliche Wahlergebnisse in der Gruppe der Arbeiter:innen zu erzielen.1 Selbst in Bundesländern, in denen die AfD schwach abschnitt und zuletzt wie bei der Landtagswahl in NRW insgesamt an Stimmen verloren hat, konnte die Partei unter Arbeiter:innen gemessen an ihrem Gesamtergebnis ein überdurchschnittliches Resultat erzielen.2 „Rechtspopulismus als Ausdruck einer politisch umkämpften produktionistischen Ethik.“ weiterlesen

Masse, Wissenschaft und der Blick nach unten. Die Abwertung der Masse in der Inszenierung „Volksfeindin“ nach Henrik Ibsens Drama

Janila Dierks

Das Stück Volksfeindin aus dem aktuellen Repertoire des „Freien Schauspiel Ensemble“ in Frankfurt basiert auf einem Drama des Schriftstellers Henrik Ibsen. In den letzten Jahren wurde es aufgrund seiner zentralen Fragestellungen zu Umweltverschmutzung, dem Stellenwert wissenschaftlicher Fakten sowie seiner Konzeption von Mehrheit und Masse vermehrt auf deutschen Bühnen aufgeführt. Die Frankfurter Inszenierung fokussiert sich dabei spezifisch auf die Thematik der Masse und hierbei kann sie einer im Stück angelegten und heute (wieder) anschlussfähigen tradierten Form des Blicks nach unten nicht entkommen. Dass die Masse problematisch ist in demokratischen Prozessen, ist bereits die Ausgangsannahme der Inszenierung – und sie bestätigt sich in der Szene der Volksversammlung durch ein schein-interaktives Moment selbst. „Masse, Wissenschaft und der Blick nach unten. Die Abwertung der Masse in der Inszenierung „Volksfeindin“ nach Henrik Ibsens Drama“ weiterlesen

Julius Fröbel: Demokratie und das Problem der Tyrannei der ungebildeten Mehrheit

Annika D’Avis

In diesem Beitrag möchte ich auf Julius Fröbels Demokratiekonzept eingehen und dabei vor allem diskutieren, wie er das Problem der Tyrannei der ungebildeten Mehrheit theoretisch verarbeitet – und wie er zur Lösung dieses Problems untere Gesellschaftsschichten als ‚wilde‘ Andere politisch ausschließt. Dabei durchläuft Julius Fröbel in seinen Werken einen Wandel: Ist er während seines Wirkens im Vormärz zumindest noch vorsichtig optimistisch, zukünftig alle Klassen politisch emanzipieren zu können, verfällt er nach dem Scheitern der Revolution immer tiefer in einen Pessimismus gegenüber der Demokratiefähigkeit unterer Klassen.

„Julius Fröbel: Demokratie und das Problem der Tyrannei der ungebildeten Mehrheit“ weiterlesen

Zur double bind-Paradoxie der repräsentativen Demokratie

Martin Welsch

In der Publizistik ist es ein Gemeinplatz, dass sich die repräsentative Demokratie in einer Krise befindet, Politikverdrossenheit und Massenproteste werden als Zeichen dafür gewertet. Die politik- und sozialwissenschaftliche Theorie dieser Krisendiagnose ist die der „Postdemokratie“: Das Repräsentativsystem habe früher seinen demokratischen Zweck erfüllt, doch diese Zeit sei vergangen. Derzeit gleiche sich das System wieder dem vordemokratischen Zustand an, sodass die Demokratie zur leeren Hülse werde. Für Vertreter der Postdemokratiethese liegt dies jedoch nicht am Repräsentativsystem selbst; seine Degeneration sei äußerlich bedingt, nach Ansicht von Colin Crouch durch Wirtschaftsmacht. „Zur double bind-Paradoxie der repräsentativen Demokratie“ weiterlesen